Gustav Landauer Denkmalinitiative (Berlin)

Gustav Landauer (1917),  Foto: N. & C. Hess

Für ein Landauer-Denkmal in Berlin

Der nördliche Teil Kreuzbergs ist der wohl wichtigste Entstehungsort des Anarchismus in Deutschland, der hier ab 1890 eine „erste Blütezeit“ erlebte und sich mit anderen gesellschaftlichen Reformbewegungen verband. Doch ist dieser Teil der Geschichte Berlins kaum bekannt. Nichts im öffentlichen Raum erinnert daran.

Die anarchistische Bewegung setzte sich um 1900 in fast allen gesellschaftlichen Bereichen für ein freieres und selbstbestimmteres Leben ein. Sie bildete sich um Zeitschriften mit sprechenden Titeln wie: „Der Sozialist“, „Der Freie Arbeiter“, „Die neue Generation“ oder „Das neue Leben“ und stritt, oft unter großen Opfern, für eine Demokratisierung von Wirtschaft und Politik, für Arbeiter*innen- und Minderheitenrechte, für neue Lebensformen und eine neue Kultur.

Gustav Landauer (1870–1919) lebte ein Vierteljahrhundert in Berlin und gehörte sehr bald der anarchistischen Bewegung an. Ein Bericht der Politischen Polizei stufte ihn bereits 1893 als ihren „in ganz Deutschland“ bedeutendsten Vertreter ein. Dabei wirkte er in die verschiedendsten Kreise: Er verkehrte mit Arbeiter*innen, und referierte über Literatur vor den liberalen Damen der höheren Gesellschaft. Er unterstützte Streikbewegungen, und war im künstlerischen Ausschuss der Neuen Freien Volksbühne aktiv. Viele unterschiedliche Kontexte lassen sich über sein Wirken erschließen. Sein Engagement für die Neue Gemeinschaft, die Volksbühnenbewegung, die freideutsche Jugendbewegung, für das Jüdische Volksheim, genossenschaftliche Siedlungsprojekte, die Zentralstelle Völkerrecht und gegen den heraufziehenden Krieg – alles dies und mehr fällt in die Berliner Zeit, die fast sein gesamtes Erwachsenenleben umfasst. Landauer war zentral beteiligt an der Gründung der Konsumgenossenschaft „Befreiung“, die 1895 auf dem Kottbusser Damm ihre erste Filiale eröffnete. Sein Hauptwerk, der „Aufruf zum Sozialismus“, wurde am heutigen Rio-Reiser-Platz gedruckt. Ein paar Straßen weiter befandt sich die Redaktion des von ihm redigierten „Sozialist“, laut Martin Buber während seines Erscheinens „das charaktervollste, also das beste Blatt Deutschlands“. Im heutigen Ballhaus Naunynstraße sprach Landauer nach der Ermordung des Reformpädagogen Francisco Ferrer im Herbst 1910 über die „Notwendigkeit und Möglichkeit von freien Schulen in Deutschland“, und in der Muskauer Straße referierte er 1911 über den „Freien Arbeitertag“, eine großangelegte demokratische Initiative, die den drohenden Krieg verhindern sollte. Dies sind nur einige Kreuzberger Adressen, die mit dem Wirken Gustav Landauers verbunden sind.

„Gustav Landauer war zweifellos der bedeutendste Kopf, den der freiheitliche Sozialismus in Deutschland hervorgebracht hat“, erinnert sich der kaum weniger bedeutende Anarchist und Syndikalist Rudolf Rocker in seinen Memoiren. Dabei deutet er zugleich auch an, dass Landauer zeitlebens eine zentrale Randfigur des freiheitlichen Sozialismus blieb, „die meisten ahnten nicht einmal, was sie in diesem Manne besaßen.“ Insofern steht Landauer stellvertretend für die wohl radikalste unter den modernen Emanzipationsbewegungen – und gehörte ihr zugleich als ihr kritischer Zeitgenosse und Wegbereiter an.

Die anarchistische Bewegung wurde von den Nationalsozialisten zerschlagen und zerstreut. Rudolf Rocker selbst gelang es direkt nach dem Reichstagsbrand gerade noch rechtzeitig aus Berlin und Deutschland zu fliehen. Sein Hauptwerk „Nationalismus und Kultur“ (es hätte auch „Nationalismus oder Kultur“ heißen dürfen) konnte erst nach dem Krieg in deutscher Sprache erscheinen. Die anarchistische Bewegung und ihre historischen Orte, ihre Themen, Diskussionen, Zeitungen und Protagonist*innen sind heute nur wenigen Forscher*innen und interessierten Laien bekannt. Dabei sollte der freiheitliche Sozialismus gerade heute wieder interessieren: Der Staatssozialismus hat sich in totalitären Systemen blamiert und neue autoritäre ‚Lösungen‘ stehen vor der Tür.

Deutschland ist nicht eben reich an Denkmälern und Orten, die seine demokratische Geschichte ins Gedächtnis bringen. Das Landauer-Denkmal will deshalb auch ein Anstoß sein für die Wiederentdeckung eines Aspektes dieser Geschichte, der nicht nur im Nationalsozialismus, sondern auch im Gedächtnis sämtlicher deutscher Staaten nach dem Krieg keine Rolle mehr spielte.

 

Stimmen für das Landauer-Denkmal

Um den Jahreswechsel 2016/2017 haben sich elf Wissenschaftler*innen und Personen des öffentlichen Lebens in individuellen Stellungnahmen für ein Landauer-Denkmal in Berlin ausgesprochen; hier folgen einige kurze Zitate aus ihren Testimonials und Unterstützungsschreiben.

„Zu meiner Freude erfuhr ich über die Initiative, Gustav Landauer ein Denkmal zu setzen. Das ist ein überfälliger Schritt! Völlig zu Unrecht ist Landauer den meisten Deutschen heute unbekannt. […] Deshalb unterstütze ich die Denkmalinitiative voll und ganz und hoffe, dass durch sie endlich auch eine Auseinandersetzung mit dem wichtigen Werk Landauers entsteht.“

Rabbinerin Prof. Dr. Elisa Klapheck, Egalitärer Minjan in der Jüdischen Gemeinde Frankfurt a. M.

 

„Das Werk Gustav Landauers hat an Aktualität kaum verloren. Sein ‚sozialer Anarchismus‘ hat zentral wichtige Fragen und Probleme formuliert, die nicht erst eine künftige befreite Gesellschaft zweifellos wird stellen und lösen müssen, sondern die wir bereits hier und heute in unserer Praxis immer wieder zu bedenken haben. […] Der Aufruf Gustav Landauers zur Erneuerung menschlicher Gemeinschaft, zum ‚Wiederanschluss an die Natur‘ und zur Verwirklichung der föderalistischen Friedensordnung einer ‚werdenden Menschheit‘ machen ihn zu einem wichtigen Gesprächspartner in unserer schweren Zeit. Ich würde es daher sehr begrüßen, wenn Gustav Landauer wieder deutlicher ins öffentliche Bewusstsein träte. Das Anliegen, mit einem Denkmal in Berlin an ihn zu erinnern, unterstütze ich daher ausdrücklich.“

Prof. Dr. Frieder Otto Wolf, Freie Universität Berlin, Institut für Philosophie

 

„Es gibt keinen deutschsprachigen Denker, dessen Überlegungen zu Solidarität, Vergemeinschaftung und Revolution so aktuell geblieben sind wie die Theorien, die sich aus dem reichhaltigen und weit verstreuten Werk Landauers rekonstruieren lassen. Nicht nur anarchistische Positionen, sondern auch feministische und queer-theoretische, sowie praxistheoretische und post-strukturalistische Varianten des historischen Materialismus lassen sich als ‚Echo‘ Landauer‘scher Einsichten ansehen [...] Wenn das Berlin der Zukunft für ein Zusammenleben in Vielfalt, geistreicher Kreativität und gegenseitiger Hilfe stehen will, ohne die vielschichtige Gewalt der Vergangenheit zu vergessen, könnte der deutsch-jüdische Sozialist, Feminist, Pazifist und Kolonialismus-Kritiker Landauer in seiner herrlichen Streitbarkeit Pate stehen.“

Dr. Eva von Redecker, Philosophin, freie Autorin und Publizistin

 

„Gustav Landauer gehört einer Generation von Künstlern und Intellektuellen an, deren Bild im historischen und kulturellen Gedächtnis durch die Vernichtungs­­politik des NS-Regimes wenn nicht ausgetilgt, so doch nachhaltig verzerrt worden ist. Seiner Ermordung durch Freikorpssoldaten in der Münchner Revolution folgten die Zerstörung seines Grabdenkmals auf dem Münchner Waldfriedhof, die Vertreibung seiner Familie und die Zerstreuung seines Nachlasses durch das NS-Regime. Dass heute in Jerusalem und Amsterdam Teilnachlässe der Forschung zur Verfügung stehen, ist glücklichen Umständen und mutigen Menschen zu verdanken. […] Seine umfangreiche Briefhinterlassenschaft gibt einen Einblick in die enorme Bandbreite seiner Gesprächsfähigkeit. […] Ich würde es außerordentlich begrüßen, wenn Landauer einen Platz in der Gedächtnis­landschaft Berlins finden würde.“

Dr. Phil. Hanna Delf von Wolzogen, Herausgeberin der kritischen Briefausgabe Gustav Landauers

 

„Landauer strebte ein bewußtes, ein libertär gesinntes Judentum, einen friedlichen Anarchismus auf Basis des Judentums in der Diaspora an und stellte sich sowohl gegen Assimilationismus als auch Zionismus. […] So ehrenwert und gut gemeint die Gedenktafel in der Schloßstraße in Hermsdorf auch sein mag, so wenig instruktiv ist sie doch vor dem Hintergrund des gesamten Lebens und Schaffens dieses zu Unrecht vergessenen, von prophetischem Feuer beseelten Menschen. Ein Denkmal für Gustav Landauer wäre nicht nur eine Ehre für ihn – vielmehr würde ein solches öffentliches Gedenken der Stadt Berlin und ihren freiheitsliebenden Traditionen ebenso zur Ehre gereichen, wie sie angesichts eines neuen deutschen Judentums noch einmal das darstellen könnte, was das von den Nationalsozialisten vernichtete deutsche Judentum einmal war.“

Prof. Dr. em. Micha Brumlik, Seniorprofessor, Zentrum für Jüdische Studien Berlin/Brandenburg

 

„Dass die Stadt Berlin an seinem späteren Wohnhaus in der Nähe des Bahnhofs Hermsdorf eine ‚Berliner Gedenktafel‘ ermöglicht hat, erscheint zwar ohne Einschränkung lobenswert, wird aber durch die Beschränkung auf einen privaten Rückzugsort der überragenden gesellschaftlichen Bedeutung Landauers um 1900 in keiner Weise gerecht. Die Errichtung eines Denkmals im Umfeld seines hauptsächlichen publizistischen Wirkens im jetzigen Kreuzberg unterstützen wir deshalb nachdrücklich.“

Ronald Vierock, Kulturhistorischer Verein Friedrichshagen e.V.

 

„In den Auseinandersetzungen um ein Denkmal spiegeln sich bekanntlich divergierende Einschätzungen der Vergangenheit. Nicht zuletzt geht es dabei um Wertvorstellungen, um unterschiedliche Interpretationen und um Deutungshoheit. Einer Stadt wie Berlin, die als wesentliche Wirkstätte Landauers anzusehen ist, würde es heute mit Sicherheit gut anstehen, an einem öffentlichen Gedenken mitzuwirken. […] [Es] bietet die Gelegenheit, mit Gustav Landauer eine wichtige historische Persönlichkeit erstmals ausreichend zu würdigen.“

ao. Univ. Prof. Dr. Gerhard Senft, Wirtschaftsuniversität Wien, Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte

 

„Gustav Landauer […] gehört neben Erich Mühsam bis heute zu den bedeutendsten Anarchisten im deutschsprachigen Raum. […] Aufgrund seiner unbestreitbaren kultur- und sozialgeschichtlichen Bedeutung begrüße ich uneingeschränkt die Bemühungen der ‚Gustav Landauer Denkmalinitiative‘ ein Denkmal in Berlin, wo er annähernd drei Jahrzehnte lebte und wirkte, für diesen libertären Sozialisten einzuweihen.“

Dr. Siegbert Wolf, Herausgeber der Ausgewählten Schriften Gustav Landauers

 

“Gustav Landauer gehört zu den Großen unter den heute weitgehend Vergessenen seiner Zeit. […] Vor 1914 setzte sich Landauer publizistisch und politisch gegen den drohenden Krieg ein, wie er auch schon zuvor als dezidierter Gewaltkritiker hervorgetreten war, als er anarchistisch motivierte Attentate auf Politiker scharf verurteilt hatte. […] Warum ein Landauer-Denkmal 1919 für Berlin? Weil es sich für die Gegenwart und Zukunft lohnt, die Erinnerung wachzuhalten an jemanden, der das Geisteserbe der Welt vermittelt, der Freiheit und soziale Gerechtigkeit miteinander verbindet, der einen undogmatischen Zugang zu den religiösen Schätzen der Menschheit vermitteln hilft, und der eine Ethik und Spiritualität der Gewaltfreiheit verbreitet hat.“

Prof. Dr. Dr. Joachim Willems, Carl von Ossietzky Universität Oldenburg, Institut für Ev. Theologie und Religionspädagogik

 

„Dass Gustav Landauer zugleich als deutscher Jude und deutscher Anarchist in reaktionären Kreisen verhasst war und auf bestialische Weise ermordet wurde, verwundert nicht. Gerade deswegen sollte heute in Berlin an diesen Wahlberliner erinnert werden, der bis in den Ersten Weltkrieg lange Jahre in Berlin gelebt hat und dessen Denken auch überzeugte Anhänger der parlamentarischen Demokratie gerade heute interessieren sollte, da theokratischer Terror, imperialistisches Gehabe und nationale Arroganz leider die Tagesordnung bestimmen.“

Prof. François Genton, Université Grenoble Alpes, Institut des langues et cultures d’Europe, Afrique, Amérique, Asie et Australie

 

„Als Historikerin der Ideengeschichte mit einem besonderen Forschungsschwerpunkt auf libertärem sozialistischen Gedankengut weiß ich um die große Wirkung, die Gustav Landauer um die Wende zum 20. Jahrhundert auf die internationalen progressiven Kreise ausübte und auch um die nachhaltige Wertschätzung, die er seither als origineller und inspirierender Denker genießt. Landauers Werk ist ob seines Umfangs und seiner Tiefe bemerkenswert! […] Ein Denkmal wird das Interesse an seinem Leben und seinem Werk zweifellos über Fachkreise hinaus weiter stimulieren und das Verständnis für sein ethisches Engagement für Pazifismus, Spiritualismus und Egalitarismus befördern.“

Prof. Ruth Kinna, Loughborough University, Department of Politics, History and International Relations

 

Zum Fortgang des Denkmalprojekts

17. Januar 2015: Die  Gustav Landauer Denkmalinitiative (GLDI) gründet sich, um in einem offenen Prozess bis zur 100. Wiederkehr seines Todestages am 2. Mai 2019 in Berlin – der über viele Jahre hinweg wichtigsten Stätte seines Wirkens – einen Ort zu schaffen, der an Landauer und die libertäre Bewegung der Zeit öffentlich und gut sichtbar erinnert. Da dieser Prozess sich als sehr aufwändig und hürdenreich erweist, wird der zeitliche Rahmen zur Erreichung dieses Ziels später erweitert.

Jahreswechsel 2016/2017: Elf bekannte Wissenschaftler*innen und Personen des öffentlichen Lebens sprechen sich in individuellen Stellungnahmen für ein Landauer-Denkmal in Berlin aus. Siehe unten.

27. September 2018: Die Gedenktafelkommission Friedrichshain-Kreuzberg stimmt dem Antrag der GLDI zu, in Form eines Denkmals an Gustav Landauer zu erinnern.

12. Dezember 2018: Die Bezirksverordnetenversammlung Friedrichshain-Kreuzberg beschließt die Errichtung eines Denkmals für Gustav Landauer.

28. März bis 9. Mai  2019: Im Rathaus Kreuzberg (Berlin) wird erstmals die Ausstellung „Die Anarchie ist das Leben der Menschen, die dem Joche entronnen sind“ über das Leben und Wirken Gustav Landauers gezeigt – mit einem umfangreichen Rahmenprogramm an verschiedenen Orten der Stadt. Unter Beteiligung von 15 Wissenschaftler*innen und zahlreichen Archiven schreitet sie den Werdegang Landauers ab und präsentiert zahlreiche Kontexte seiner Tätigkeit. Ein Schwerpunkt liegt dabei auf den Berliner Jahren zwischen 1889-1917.

29. Mai bis 22. Oktober 2019: Die Ausstellung wird im Rahmen der großen Landauer-Konferenz an der ENS de Lyon erstmals in französischer Fassung gezeigt.

► Weitere Details im Bereich Ausstellung dieser Webseite.

► Die politischen Beschlüsse für das Denkmal und die Ausstellung im Rathaus finden sich hier (Denkmal) und hier (Ausstellung).

30. Januar 2024: Die Schulleitung der Nürtingen Grundschule stimmt der Nutzung der Ecke Mariannenplatz-Wrangelstraße für einen Erinnerungsort zu. Dieser Standort befindet sich in unmittelbarer Nähe der Redaktionsadresse der von Landauer herausgegebenen Zeitschrift "Der Sozialist. Organ des Sozialistischen Bundes" auf der Wrangelstr. 135 und in der Nähe vieler weiterer Orte, die mit seinem Wirken im heutigen Kreuzberg verbunden sind.

23. Mai 2024: Das Schul- und Sportamt stimmt dem Standort ebenfalls zu.

Gegenwärtig bereiten wir den künstlerischen Wettbewerb vor, in dem eine siebenköpfige Jury einen Entwurf küren wird, der anschließend ausgeführt werden kann. Im Herbst 2024 werden wir eine Crowdfunding-Kampagne lancieren, um den Wettbewerb zu finanzieren.

Wir danken allen Unterstützer*innen, die es durch ihre Hilfe ermöglicht haben, diese wichtige Ergänzung der Erinnerungstopographie Berlins in greifbare Nähe rücken zu lassen!

Jede weitere Unterstützung der Denkmalinitiative zur Erreichung ihres Ziels nehmen wir dankbar an!